Ein Mittwochabend im Oktober in der Göppinger Kinderklinik. Ein drei Monate alter Säugling wird von den Eltern in die Kindernotaufnahme gebracht. Das Kind habe sich den Kopf am Gitterbettchen angestoßen und daraufhin angefangen, mit den Armen und Beinen komisch zu zucken. So berichten die besorgten Eltern der aufnehmenden Ärztin. Kurz nach der Untersuchung des Kindes, das zum Aufnahmezeitpunkt schlafend im Maxi Cosi liegt, beginnen die Zuckungen von Neuem – ein vom Gehirn ausgehender Krampfanfall. Nun muss es schnell gehen: Die Ärzte stabilisieren Atmung und Kreislauf des Babys, das nicht mehr bei Bewusstsein ist, legen einen intravenösen Zugang und verabreichen ein Medikament zur Unterbrechung des Krampfanfalls.
Nach der Stabilisierung des Kindes beginnt die Ursachenforschung. Äußerlich sind keine Kopfverletzungen zu sehen, ein Sturz auf den Kopf wird von den Eltern verneint, das Kind hat kein Fieber und keine Entzündungszeichen. Eine Computertomographie des Kopfes wird durchgeführt, um das Gehirn genauer beurteilen zu können, denn das Baby hat mittlerweile erneut begonnen zu krampfen. Es folgt ein schwerer Moment, denn das CT-Bild zeigt eine intrazerebrale Kopfverletzung, die in der Regel nicht ohne Trauma oder Gewalteinwirkung entstehen kann – eine Hirnblutung, wie sie durch stark auf den Kopf einwirkende Scherkräfte entsteht. Die Verletzung des Babys ist also möglicherweise durch ein Schütteltrauma entstanden.
Wieder muss es schnell gehen. Einerseits muss das Kind rasch medizinisch versorgt werden, andererseits muss mit den Eltern offen gesprochen werden, dass es sich um eine schwere Kopfverletzung handelt, die nicht durch das Anstoßen des Kopfes am Gitterbettchen zu erklären ist. Dazu wird die Kinderschutzgruppe einberufen. Diese Gruppe tagt bei Befunden und Verletzungsmustern, für die es keine plausible Erklärung gibt. Sie kommt in diesem Fall zu dem Schluss, dass nach dem Informieren der Eltern eine Meldung zur Kindeswohlgefährdung ans zuständige Jugendamt erfolgen muss. Für Spekulationen und Verdachtsäußerungen ist in einer solchen Situation kein Platz. Die weitere Aufarbeitung der Vorkommnisse an diesem Mittwochabend, die Beurteilung der familiären Situation und die Entscheidung darüber, wie die weitere Versorgung des Kindes geregelt wird, liegen nun beim Jugendamt.
Dieses Fallbeispiel zeigt, wie wichtig es für eine Kinderklinik ist, ein Team aus speziell im Kinderschutz erfahrenen Mitarbeitern zu haben. Denn in der Klinik werden nicht nur Bauchschmerzen kuriert und Infektionen behandelt. „Neben der Diagnostik und Therapie von Erkrankungen erfüllen wir eine weitere wichtige Aufgabe: die des medizinischen Kinderschutzes“, sagt Dr. Fabian Kaßberger, Chefarzt der Kinder- und Jugendmedizin in der Klinik am Eichert. An den ALB FILS KLINIKEN wurde daher vor einigen Jahren eine Kinderschutzgruppe gegründet, im vergangenen Jahr wurde sie durch die Deutsche Gesellschaft für Kinderschutz in der Medizin (DGKiM) akkreditiert.
Kinderschutz in der Medizin heißt vor allem genau hinzuschauen und wachsam zu sein. „Blaue Flecken, Verletzungen im Genitalbereich, Verbrennungen, Verbrühungen – bei diesen Verletzungen müssen wir nicht nur medizinische Hilfe leisten, sondern auch genau hinterfragen, wie sie entstanden sind“, sagt Dr. Susanne Nusser, Oberärztin der Klinik und Kinderschutzmedizinerin. „Dabei handelt es sich bei unserer Arbeit als Kinderschutzmediziner nicht nur um Fälle mit körperlicher Gewalt, auch sexuelle Gewalt und körperliche sowie emotionale Vernachlässigung zählen in den Bereich der Kindesmisshandlung.“ Entdeckt werden diese „ungereimten Fälle“ meist in der Notaufnahme oder im Rahmen stationärer Aufenthalte. Aber es gibt auch Kinder und Jugendliche, die von niedergelassenen Kinderärzten oder Behörden, etwa mit Verdacht auf Missbrauch oder Vernachlässigung, mit der Bitte um medizinisch-diagnostische Abklärung zu den Experten der Kinderklinik geschickt werden.
Um akkreditiert zu werden, muss eine Klinik entsprechend geschulte Kinderschutzmediziner in ihren Reihen haben. In den ALB FILS KLINIKEN sind dies Oberärztin Dr. Susanne Nusser sowie der Leitende Oberarzt der Kinderklinik, Dr. Dirk Richter. Die beiden haben für das „Zertifikat Kinderschutzmedizin“ mehrtägige Kurse absolviert und eine Prüfung abgelegt. Doch trotz dieser besonderen Qualifikation gilt im Kinderschutzteam der ALB FILS KLINIKEN ein hehrer Grundsatz: „Die Beratung und Fallbesprechung in diesen oft schwierigen und emotional belastenden Fällen findet immer gemeinsam statt“, betont Dr. Nusser. Die Kinderschutzgruppe besteht dazu aus einem multidisziplinären Team – neben den Medizinern sind dies Kinderkrankenschwestern, die Kinder- und Jugendpsychologin und die Patientenmanagerin der Kinderklinik. Bei Bedarf werden auch Vertreter anderer Disziplinen wie Rechtsmedizin, Unfallchirurgie oder Gynäkologie hinzugezogen.
Kontaktperson in Sachen medizinischem Kinderschutz ist das Kinderschutzteam der ALB FILS KLINIKEN übrigens nicht nur für niedergelassene Ärzte, Rettungsdienste oder Behörden. „Wir sind natürlich auch Ansprechpartner für Privatpersonen“, sagt Chefarzt Dr. Kaßberger. Erreichbar ist das Kinderschutzteam im Bedarfsfall bei Fragen und Anliegen zum medizinischen Kinderschutz rund um die Uhr – entweder über das Sekretariat der Kinderklinik (07161 64-2270) oder in dringenden Fällen über den diensthabenden Kinderarzt der Kinderklinik, der jederzeit über die Pforte (07161 64-0) angefunkt werden kann.